Zur Erinnerung - der Wortlaut der Richtlinie:

12.1 Berichterstattung über Straftaten In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Diese Forderung 12.1 hat nichts mit dem vom Deutschen Presserat deklarierten „Ehrenkodex“ und mit hehren Grundsätzen der Pressearbeit zu tun, sondern mit dem genauen Gegenteil davon.

Auch trägt die Richtlinie in nicht unerheblichem Maße dazu bei, die Freiheit, Objektivität und Verlässlichkeit der Berichterstattung zu unterbinden, also gezielt zu verhindern.

Ja noch drastischer, der Deutsche Presserat stiftet mit dieser Richtlinie dazu an, Informationen zu verschleiern, zu beschönigen, zu unterschlagen, die beispielsweise aufgrund von Beschreibungen der Opfer zur Identifizierung der Täter führen können, oder auch zu Erkenntnissen über das analytische Zustandsbild unserer Gesellschaft (was einen ganz wichtigen informationellen Wert darstellt) sowie zu gesellschaftlichen Hinweisen (z.B. Mängel in der Integrationsarbeit). Das sind unhaltbare Zustände, die der Deutsche Presserat +mit dieser unsinnigen Richtlinie im Pressekodex zementiert hat und gegen vielfache und begründete Kritik immer noch betonköpfig aufrecht hält.

Die Richtlinie 12.1 schadet der Presse, den Journalisten und ihrem Ruf in erheblichem Maße, und ist eine Schande für eine freie, verantwortliche Berichterstattung in einem freien Land, weil sie durch Verunsicherung der Journalisten, durch Scheren im Kopf und vorauseilenden Gehorsam wegen relativ auslegbaren Formulierungen das Vertrauen in eine faktentreue und faire Berichterstattung erschüttert.

Es ist aus meiner Sicht noch schlimmer, weil diese Richtlinie den Pressekodex vom vermeintlichen „Ehrenkodex“ zum Schandkodex transformiert und den Anwurf der „Lügenpresse“ aus der Bürgerschaft befeuert, mit dem Medienberichterstattung und Journalisten, Polizei und Politiker zurecht begründet an den Pranger gestellt werden.

Mit diesem Passus, der sich gegen mein Berufsethos und Verständnis von Journalismus richtet und vor allem dazu geeignet ist, Journalisten zur Selbstzensur zu animieren, wird der desolate Versuch verfestigt, Journalisten mit Erziehern und Psychiatern der Nation zu verwechseln. Die Öffentlichkeit muss sich darauf verlassen können, dass Journalisten unerschrocken, fair, nicht beschönigend, ungefiltert und umfassend „über die komplizierte Welt berichten, in der wir leben“, und nicht nach opportunistischen Stimmungslagen oder sozialpolitischen Wetterberichten ihre Arbeit tun.

Die Richtlinie 12.1 geht, nach Recherchen, zurück auf eine Anregung des Verbands der Deutsch-Amerikanischen Clubs von 1971, mit dem laut der Wochenzeitung „Die Zeit“ anvisierten Ziel, „bei der Berichterstattung über Zwischenfälle mit US-Soldaten darauf zu verzichten, die Rassenzugehörigkeit der Beteiligten ohne zwingend sachbezogenen Anlass zu erwähnen.“ 50 Jahre danach ist es an der Zeit, dass der Deutsche Presserat den antiquierten Gummibären aus dem Regal nimmt, die im Prinzip skandalöse Forderung aushebelt und den Pressekodex an dieser neuralgischen Stelle kuriert, so dass er endlich mit dem grundgesetzlich verankerten Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit in Einklang steht. Es ist ein gewaltiger Irrtum des Deutschen Presserates, anzunehmen, dass instrumentalisierte bewusste Weglassung oder Verschleierung der Herkunft von Tätern in Presseberichten von Lesern unbemerkt bliebe. Ganz im Gegenteil, das wird eindeutig und dazu gibt es Untersuchungen, wahrgenommen, registriert, auch interpretiert und zwar nachhaltig und zum betrüblichen und nicht weiter tolerierbaren Schaden für Medien, Journalisten, für die Polizei und unsere Gesellschaft.

Ich stehe voll und ganz hinter einem Ausspruch der geschätzten Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, die bekanntlich auch Journalistin war, und der da lautet: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar!" Dem sollte der Deutsche Presserat mit seinem an der hier kritisierten Stelle überholten Pressekodex nicht weiterhin als Bremser und Verhinderer im Wege stehen.

 

Mit freundlichen Grüßen, hochachtungsvoll

Dipl.-Journ. Horst Samson, Neuberg/Hessen

Antwortschreiben des Geschäftsführers des Presserats:

Von: Deutscher Presserat <Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!>
Datum: 26. Januar 2016 um 15:58
Betreff: Diskriminierungsverbot

Sehr geehrter Herr Samson,

ich möchte auf Ihre E-Mail vom 18.01.2016 gerne kurz antworten. Ich glaube nicht, dass die Richtlinie 12.1 in größerem Umfang dazu beiträgt, die Freiheit, Objektivität und Verlässlichkeit der Berichterstattung zu unterbinden bzw. gezielt zu verhindern. Sie besitzt weder den Charakter eines Sprachverbots, noch stellt sie einen Versuch des Presserats dar, Journalisten zur Selbstzensur zu animieren. Vielmehr geht es ausschließlich darum, den Kolleginnen und Kollegen bei der Berichterstattung zu vermitteln, dass bestimmte Kennzeichnungen im Zusammenhang von Polizei- bzw. Gerichtsberichten Angehörige von Minderheiten diskriminieren und damit Stereotype verbreiten können. Die Presse soll sich also bei dieser Art Berichterstattung darüber im Klaren sein, dass sie eine Verantwortung für das Verständnis der von ihr produzierten Beiträge übernimmt.

Um Ihnen eine Information über den historischen/medienpraktischen Hintergrund dieser Regelung zu vermitteln, übersende ich Ihnen mein Interview aus dem Bonner General-Anzeiger vom 16./17.01.2016 sowie den Artikel von Heribert Prantl in der Süddeutsche Zeitung vom 18.01.2016. Schließlich darf ich Ihnen mitteilen, dass der Deutsche Presserat auf seiner Plenumssitzung Mitte März dieses Jahres diesen publizistischen Grundsatz im Lichte der Berichterstattung der Kölner Ereignisse von Silvester diskutiert. Dabei werden wir in größerem Kreis ausloten, inwieweit die Textfassung sowie die Auslegung dieser Regelung aktuell neu überdacht werden müssen.

Mit freundlichen Grüßen

Lutz Tillmanns
Geschäftsführer

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