Der Exil-P.E.N., Zentrum der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder e.V., tagte in diesem Jahr vom 13. bis 15. November in der Galerie Benakohell, in Berlin-Reinickendorff.
Im Mittelpunkt des Eröffnungsabends stehen die Begrüßungsworte des Präsidenten, Professor Dr. Wolfgang Schlott, die Vorstellung des Tagungsortes in der Kunstgalerie der iranischen Künstlerin und Poetin Shalah Aghapour sowie Lesungen verschiedener Mitglieder.
Ursula Jetter, Herausgeberin der „exempla“ – es ist die älteste Literaturzeitschrift in Baden-Württemberg -, liest neue Gedichte, sie findet „alle Worte sind leer und Antworten lautlos“ („Im Krieg der Wortgefechte“). Boris Shapiro sucht den „Gott des Vergessens“ und findet, dass „wer nicht begehrt, der lebt verkehrt... und umgekehrt“. Kira Mantsu trägt Gedichte aus dem Arumunischen in der Übersetzung von Horst Samson vor, Wolfgang David liest aus seinem neuen Prosatext während Shalah Aghapour auf persisch und deutsch Verse vorträgt.
Die anschließenden Diskussionen handeln von Schreiben in Freiheit, von den Arumunen, Sorben und anderen Minderheitenliteraturen sowie von verfolgten Autoren, den finanziellen Möglichkeiten des Exil-P.E.N. und den Mitteln zur Förderung der neuen Anthologie des Clubs.
Bedrohten Journalisten zu helfen, in Freiheit zu schreiben, könnte auch als Motto für diese Tagung stehen. Das Treffen mit dem syrischen Journalisten und Autor Hammoud Hamoud am Sitz der „Reporter ohne Grenzen“ in Berlin beweist, wie wichtig es ist, über die eigenen Grenzen hinauszublicken, nationale Befindlichkeiten zu überwinden, da auch im Journalistischen und Literarischen die Internationalität sich nicht allein auf die Globalisierung bezieht, sondern auch auf den Zwang zum Exil und zur Asylsuche. Der etwa 30-jährige Journalist Hammoud Hamoud, Verfasser mehrerer Bücher zum Islamismus in Syrien, lebt in Deutschland im Asyl. Seine Schwester wird von den Terroristen gefangen gehalten. Er blickt zwar zuversichtlich, aber unsicher in eine ungewisse Zukunft. Fuß zu fassen in diesem ihm fremden Land gelingt ihm hauptsächlich dank der Fürsorge durch „Reporter ohne Grenzen“. Auch der Exil-P.E.N. hat seine Hilfe angeboten. Die Zahl der verfolgten Journalisten und Autoren weltweit steigt. Bereits 60 neue Fälle wurden in diesem Jahr bekannt, die Betroffenen stammen unter anderem aus Aserbaidschan, Iran, Somalia, Syrien, Saudi-Arabien oder China. Wie Wolfgang Schlott betonte, ist es auch eine Aufgabe des Exil-P.E.N. e.V., die „interkulturellen Probleme aufzuarbeiten“.
Im Mittelpunkt des zweiten Lese-Tages steht Hans Bergel, vorgestellt von Horst Samson, der den Teilnehmern den Jubiläumsband der Literaturzeitschrift „Matrix“, die dem 90. Geburtstag von Hans Bergel gewidmet ist, empfohlen hat. Der aus Siebenbürgen stammende Autor Hans Bergel las anschließend seine Geschichte „Das Lächeln des Koros“ – eine reale Begegnung mit einem Russen, die in der Wendezeit handelt, aber auch eine zeitlose Begegnung zweier Kronstädter, der eine aus Kronstadt auf dem siebenbürgischen Längengrad, der andere aus der auf einer Insel im Finnischen Meerbusen gelegenen Kronstadt.
Die nächsten Tagungsbeiträge von Wolfgang Schlott widmeten sich dem „Zufall“, der Kunst und Risikos des Zufalls, Beobachtungen und Theorien, aufgezählte Neurosen des in die Freiheit entlassenen Menschen, seine Oikophobie (Angst vor dem Nachhausegehen) – eine wahrhafte Wortakrobatik, die aber im Melancholischen enden könnte.
Nicht ins Melancholische, sondern in poetische Bilder einer freiheitlichen Lyrik von bezwingender Schönheit verführte uns Horst Samson mit einer Reihe seiner Gedichte zum Meer: „Das Meer“ widerspiegelt die Sehnsuchtschwere, den Seelenort, den Rückzugsort, Erlebnisort, Gefahrenort (Zugang zum Meer) oder Erinnerungsort (an Ingeborg Bachmann, an Elisabeth Lüdde), Ort der Entbehrung. Samson findet am Meer zu seinem Gedicht, seiner Stille, seinem Seelengang. Obwohl Wolfgang Schlott die Beschwörung der Zeit und Raum in den Samsonschen Gedichten hinterfragt als mögliche postdramatische Vorstellung von unserer globalisierten Welt, sitzt bei Samson das Vertrauen in die Zeitlosigkeit tief poetisiert in seinen Versen, in der Sprache. Er fühlt sich als musikalischer Mensch der Romantik verpflichtet, diese Weltsicht kam auf ihn zu und hat ihn gefunden. Wie auch seine Gedichte ihn gefunden haben und nicht mehr loslassen.
Die Gedichte von Hellmut Seiler, Generalsekretär des Exil-P.E.N seit 2014, kreisen vielfältig um gesellschaftliche Themen, die er originell und einfallsreich mit viel Sprachwitz kurzweilig subversiv behandelt. Seiler versteht es auf bewundernswerte Weise, in seinen Gedichte der Zeit den Spiegel vorzuhalten, sich sprachkritisch und – bewusst seinen Themen vergnüglich, aber auch mit scharfer Zunge zu nähern und dabei zur kreativen Hochform aufzulaufen.
Peter Finkelgruen liest eine spannende Geschichte aus Shanghai, wo er als Kind geflüchteter deutscher Juden das Licht der Welt erblickte. Katharina Kilzer las aus ihrem neu herausgegebenen und übersetzten Novellenband der rumänischen Autorin Ana Blandiana „Die vier Jahreszeiten“.
Die anschließende Diskussion der Tagungsteilnehmer mit lebhaften Beiträgen von Hans Bergel, Horst Samson, Hellmut Seiler, Wolfgang Schlott, Boris Shapiro und Maxim Dubaiev beschäftigen sich mit der Zensur in der Diktatur und der kommerzialisierten Zensur in der Demokratie. Frei sein, um schreiben zu können, ist nicht immer die höchste Devise. Wolfgang Schlott regte eine Neuschreibung der Literaturgeschichten der einstigen kommunistischen Länder an. Die „gesperrte Ablage“ einiger Autoren, die weitgehend unbeachtet blieben, sollte auch in die Literaturgeschichte dieser Länder einfließen. Obwohl der damalige Leser im „Spionagelesen“ geübt war, um gegen die Ideologie des Staates zu operieren, blieben viele Werke in der Schublade oder verschwanden vollends (Ines Geipel, Joachim Walther: Gesperrte Ablag. Unterdrückte Literaturgeschichte in Ostdeutschland 1945-1989, Düsseldorf 2015).
Der Diskussion folgte zum Abschluss sodann der Tagungsbericht des Vorsitzenden, neue Mitgliederanträge zur Aufnahme in den Exil-P.E.N. sowie ein Bericht von Hellmut Seiler zum Tagungsort Katzendorf in Siebenbürgen, der von Frieder Schuller als Ausweichsort für Mitglieder zum Aufenthalt für kreative Schreibphasen angeboten wurde. Nicht zuletzt kündigte Wolfgang Schlott eine neue Anthologie der Mitglieder an, die 2016 im Pop-Verlag Ludwigsburg erscheinen soll und bei der voraussichtlich nächsten Tagung 2016 in Röcken, dem Nietzsche-Ort, vorliegen wird.
(Katharina Kilzer)